Befindet sich unsere senkrechte Körperachse nicht (mehr) in Übereinstimmung mit der senkrechten Schwerkraftlinie, „geraten wir aus dem Lot“ - Körper und Schwerkraft sind in Disharmonie. Aus Fehlspannungen können Verspannungen und aus Haltungsfehlern Haltungsschäden mit zahlreichen Verschleißerscheinungen und Schmerzzuständen werden. Körperarbeit wie die der chinesischen Bewegungs- und Kampfkünste sowie auch viele andere ganzheitliche Methoden setzen hier an und machen uns unsere Körperhaltung bewusster, um diese durch Neuausrichtung zu korrigieren.
Mit dem Begriff Korrektur verbinden wir in unserem Kulturkreis zumeist das „Berichtigen von etwas Falschem“, was wiederum zu der Annahme führen kann, dass es „DAS Richtige“ gibt. Dieser Annahme liegt ein sehr mechanistisches Körperbild zugrunde, das der (biologischen) Vielfältigkeit unseres Daseins nicht gerecht wird. Korrektur im hier beschriebenen Sinne meint dagegen Veränderung und Wandel sowie, damit einhergehend, das Aufdecken von Potentialen (in Richtung von weniger Schmerz und mehr Leichtigkeit).
Und Haltungskorrektur ist keine „einmalige Angelegenheit“. Ausgelöst durch ständige Änderungen in unserer Umwelt – „Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung“ (Heraklit) - können neue Fehlspannungen entstehen, die es wiederum zu lösen und die Haltung zu korrigieren gilt. Haltungskorrektur in diesem Sinne ist also eine stete Anpassung unserer Haltung, ein wie bei einem Pendel immer wiederkehrendes Einschwingen in einen Zustand möglichst großer Wohlspannung.
Jede auch noch so kleine, graduelle Korrektur hin zur natürlichen Schwerkraftlinie eröffnet die Möglichkeit, dass der Körper wieder weniger Kompensationskraft aufwenden muss: Wir stehen in unserer Fußmitte und versuchen, überflüssige Haltespannung so weit loszulassen und zuvor brachliegende (Muskel-)Bereiche so weit zu aktivieren, bis sich unsere Muskulatur in Wohlspannung „eingeschwungen“ hat und wir in unserem „Faszienkorsett“ stehen. Wir sind dann in unserer Lotlinie ausgerichtet, Schwerkraft und Aufrichtung „tragen uns“, „wir fühlen uns wohl“. Gelenke werden entlastet und selbst bei weit fortgeschrittenen degenerativen Prozessen lässt sich so oft erhebliche Linderung erzielen. Machen wir uns (erneut) bewusst, wie bestimmend die Schwerkraft in unserem verkörperten Leben wirkt, sollte die Idee einer solchen Korrektur nicht fern liegen.
Wir haben im Laufe unseres Lebens häufig gelernt, (körperliche) Sicherheit mittels Anspannung und Festhalten zu erzeugen. Diese Anspannung wird im Körpergedächtnis gespeichert und nach und nach immer unbewusster, so dass wir sie bewusst gar nicht mehr wahrnehmen. Der Preis, den wir für diese Form der Sicherheit zahlen, ist ein ständiges (Energie verbrauchendes) Halten des Spannungsgrades, damit wir uns weiterhin „sicher fühlen können“. Irgendwann wird aus „Halten" ein „nicht mehr loslassen können". Wir haben ein „entspannendes Loslassen“ und damit freie (physische wie auch mentale) Beweglichkeit in Wohlspannung verlernt.
Die Möglichkeit, uns in (eine) Wohlspannung zu bewegen, ist aber nicht verloren gegangen, wir haben nur den Zugriff darauf verlernt, und wir können diesen wiederaufdecken: Durch ein zunächst bewusstes Hinein-Spüren in unseren Körper nehmen wir Fehlspannungen wahr und können sie in Folge dieser Erkenntnis nach und nach loslassen. In diesem Prozess entdecken wir Möglichkeiten unseres Körpers, sich zu bewegen, die uns scheinbar neu sind, weil sie verschüttet waren. Ein Wohlfühlen tritt ein, wenn unsere Bewegungen frei und doch stabil (in Balance) sind, und ein „Aha-Erlebnis“ kann sein, dass je mehr man in seine Mitte loslässt, desto stabiler wird das Gleichgewicht.
Das geht natürlich nicht ohne Üben. Um ein verändertes, neuronales Muster wieder „zu verinnerlichen“ und unbewusst auszuüben, braucht es Zeit und Übung! In ein besseres Körpergefühl hineinzukommen und (bewusst) wahrzunehmen, was uns gut tut, kann dabei aber sehr schnell gehen.
Verändere ich so nach und nach die Art und Weise meiner Bewegung (Bewegungsqualität), kann der Körper über die Selbstheilungskräfte Regenerationsprozesse durchlaufen.* Unser Organismus hat dies als implizites Wissen „gespeichert“ und ist von daher auch mehr als bereit und in der Regel auch sehr bestrebt, ein Mehr an natürlicher Beweglichkeit zuzulassen :-)!
*Sowohl die Osteopathie als auch die chinesischen Bewegungs- und Kampfkünste verweisen darauf, dass es im Körper zu mehr Beweglichkeit und sogar Regeneration kommt, wenn sich die Struktur (und nichts anderes ist auch Körperhaltung) in Richtung einer gesunderen, „natürlicheren“ Struktur ändert („form follows function“).